Erfolgreiches Abschlusswochenende - Teil 1
Vor dem Abschlusswochenende der Saison 2023/2024 sah
die obere Tabellenhälfte der Landesliga so aus:
1.
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SV Großhansdorf
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7
|
14
|
36½
|
163
|
2.
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SK Marmstorf
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7
|
11
|
34
|
167
|
3.
|
FC St. Pauli III
|
7
|
8
|
28½
|
123½
|
4.
|
Hamburger SK V
|
7
|
8
|
27½
|
122
|
5.
|
SK Union Eimsbüttel
|
7
|
7
|
30
|
131½
|
Großhansdorf hatte also bis dahin alle seiben
Wettkämpfe gewonnen und dabei im Schnitt fast 5,5 Punkte
geholt. Das Ligaorakel aus Bad Homburg errechnete damit
mit 95,9 % Wahrscheinlichkeit den Meistertitel und
Aufstieg der Stormarner, den offensichtlich allein wir
noch rechnerisch gefährden konnten. Mut machte uns ein
bislang unbekanntes alternatives Orakel aus Harmstorf,
das sich kurz nach der siebten Runde zu Wort meldete und
bekannt gab, dass es bei seiner Prüfung der
wahrscheinlichen Ausgänge der letzten Wettkämpfe zum
gegenteiligen Ergebnis kam: Marmstorf werde mit hoher
Wahrscheinlichkeit den Aufstieg erreichen. Eine gewagte
Behauptung, zumal abzusehen war, dass Großhansdorf seine
bereits so erfolgreiche Mannschaft am
Abschlusswochenende noch um die ungarische
Internationale Meisterin (gemeint ist damit der
Männertitel) Anita Gara verstärken würde, weil sie dies
seit 14 Jahren immer gemacht hatten, wenn ein
Doppelrundenwochenende anstand.
Die Paarungen für das Abschlusswochenende ließen
jedenfalls noch Spannung erwarten. Denn Großhansdorf
sollte am Sonnabend im Spitzenspiel auf uns und am
Folgetag auf den Titelverteidiger St. Pauli III treffen,
während wir es am Sonntag mit Union zu tun bekommen
würden. Bei uns hat Friedrich wie schon in der siebten
Runde auch am Abschlusswochenende Jan Hendrik ersetzt,
ansonsten waren die Stammspieler komplett. Auch
Großhansdorf trat in der erwarteten Aufstellung an.
Dabei stellte sich heraus, dass der Mannschaftsführer
unserer Gäste, Thorsten Limbach, in der achten Runde zum
achten Mal Weiß erhielt. Ebenso hatte Joachim Felten
ausschließlich Weißpartien gehabt, während die Spieler
Dr. Ennenbach und Varain in der gesamten Saison nur
Schwarzpartien spielten.
Während wir in der Landesliga üblicherweise einen
deutlichen nominellen Vorteil an den vorderen Brettern
haben, sah die Situation gegen Großhansdorf anders aus.
Immerhin spielt dort am ersten Brett Großmeister
Matthias Wahls, der in den 90er Jahren zweimal Deutscher
Meister war und trotz einer langjährigen Schaffenspause
am Spieltag noch immer in Deutschland auf Platz 22 der
aktiven Spieler lag. (Zum Vergleich: Jonathan war zum
gleichen Zeitpunkt die Nr. 94) Auch am zweiten Brett war
Großhansdorf leicht favorisiert, während wir an den
Brettern dahinter die besseren Aussichten haben sollten.
So kam uns das erste vermeldete Ergebnis, ein Remis von
Kubi, durchaus gelegen. Wie so oft habe ich vom Verlauf
des weiteren Wettkampfs bis kurz vor der Zeitkontrolle
nicht viel mitbekommen. Meine Stellung war zwar in
Ordnung, die Planfindung aber etwas schwierig, so lange
mein Gegner sich nicht festgelegt hatte, in welche
Richtung er rochieren würde und als er sich endlich für
eine lange Rochade entschieden hatte, fehlte mir schon
etwas die Zeit, um mich darauf korrekt einzustellen.
Hinzu kam, dass mein Gegner nacheinander einen Bauern,
einen Läufer und einen Turm opferte, was ich alles zu
spät oder gar nicht gesehen hatte, und ich danach völlig
in den Seilen hing.
Glücklicherweise sah Christophs
Partie am Nebenbrett, die ich als einzige in dieser
Phase regelmäßig mitbekam, sehr viel besser aus, denn er
war aus einem Damengambit mit Raumvorteil am Damenflügel
hervorgegangen, stand durchgehend angenehm, gewann
Material und damit auch die Partie. Immerhin hatte ich
durch eine Serie erzwungener Züge sehr bequem die
Zeitkontrolle erreicht und konnte damit auch wieder den
Blick über die anderen Bretter schweifen lassen.
Zunächst sah ich, dass Matthias' Gegner, der mit 6 aus 7
bis dahin Topscorer der Großhansdorfer war, mit zwei
Türmen und einem Läufer den freigelegten weißen König
angriff. Das sah nicht gut aus und ich erwartete ein
Läuferschach auf e3, das aber überraschenderweise nicht
folgte. Damit war plötzlich der Angriff verpufft und die
Partie für Matthias gewonnen. Jens hatte zwar im
Endspiel ungleichfarbige Läufer bei jeweils noch einem
Turm, am Damenflügel aber noch drei Bauern, die keinen
Gegenüber mehr besaßen; das sah also sehr gut aus. Noch
besser gefiel mir Friedrichs Stellung, der
Materialvorteil und Angriff für sich reklamieren konnte.
Wie immer war eigentlich nur die Frage, ob er den 40.
Zug heil überstehen würde. Bei Michael und Jonathan war
dagegen weniger klar, ob wir an den Brettern etwas
würden holen können.
In meiner eigenen Partie ereignete sich in der Folge
Kurioses, wie ich es in den vielen Jahren, die ich nun
die Klötzchen schiebe, noch nicht erlebt habe. Ich fange
mal mit dieser Stellung nach dem 44. Zug von Weiß an:
Paul, Anatolij - Hawellek, Jeronimo
Weiß hat gerade 44.f5 gespielt. Offenkundig leiden
meine Erfolgsaussichten an der sehr ungleichen Anzahl
der Bauern, so dass ich schon zu Christoph gesagt hatte,
dass mich das ganze mehr an eine Horde-Partie bei
Lichess erinnere. Zu allem Überfluss droht Weiß Matt mit
Dh5+, Dg6+ und anschließend Dh6# und dagegen kann
Schwarz nichts Sinnvolles mehr unternehmen. Meine
einzige Hoffnung bestand darin, dass ich noch ein Patt
herbeiführen könnte, was in der aktuellen Stellung auch
möglich wäre, wenn der schwarze Bauer bereits auf a4
stünde. (Schwarz würde dann 44...Ta1+ 45.Kxa1 Tg1+
46.Ka2 Ta1+ 47.Kxa1 cxb2+ spielen und spätestens nach
48. Ka2 b1D+ müsste Weiß auch noch die letzte schwarze
Figur schlagen, die sich noch bewegen kann.) Dummerweise
fehlte mir aber dafür ein Tempo, denn der Bauer stand ja
noch auf a5. Also zog ich 44...a4 und erwartete
nun, dass mich mein Gegner mattsetzen würde, wobei ich
ein ganz kleines bisschen darauf hoffte, dass er
stattdessen einen Zug wie z.B. 45. f6 spielte und mir
doch noch die Gelegenheit gäbe, das obige Patt aufs
Brett zu stellen. Überrascht musste ich aber
feststellen, dass der Weiße sich für 45. Df6+
entschied und nach 45...Kh7 zu 46.bxc3??
griff. Die Stellung ist zwar noch immer für Weiß
gewonnen, aber dieser Weg ist nun schon nicht mehr so
einfach zu finden. Ich drohte mit 46...Tg2 ein
Matt auf c2 und ging deshalb natürlich davon aus, dass
Weiß mit 47. Kb2 deckt, wonach ich mal schauen wollte,
ob mein Gegner nach 47... Tee2 (droht mit Schlagen auf
c2 und anschließendem Dauerschach) überhaupt noch eine
Gewinnfortsetzung finden würde. Das ist alles andere als
einfach, weil das naheliegende 48. Df7+ Kh6 49. e8D+
Txc2+ 50. Kb1 Tb2+ 51. Kc1 Tgc2+ 52. Kd1 Td2+ 53. Ke1
Te2+ 54. Dxe2 Txe2+ nur zum Remis führt, da der weiße
König den schwarzen Turm, der ihn überall auf der
zweiten Reihe bzw. auf Ka1 nach b1 hin verfolgt,
irgendwann schlagen wird, wonach die Partie wieder mit
Patt endet. Mein Gegner, der anscheinend auch noch
gesehen hatte, dass ich mittlerweile mit Tg7 den Bauern
auf e7 abholen kann, gab zunächst noch das Schach 47.
Df7+ und zog erst nach 47...Kh6 48. Kb2??.
Ich antworte wie geplant 48...Tee2?? und
realisierte, nachdem ich den Zug ausgeführt hatte, was
für eine Chance mir gerade entgangen war. Denn anders,
als dies vor dem Damenschach auf f7 der Fall war, kann
mein König jetzt nicht mehr ziehen. Ich hätte also nur
noch das einfache 48...Tb1+ 49. Kxb1 Tg1+ 50. Kb2 Tb1+
51.Ka2 Ta1+ 52. Kxa1 finden müssen, um das gewünschte
Ziel zu erreichen.
Eine malerische Stellung, die man in einer solch
extremen Form nur äußert selten in seinem Schachleben
erreichen kann.
Zurück zum vorherigen Diagramm: Nach der
Partiefortsetzung 48... Tee2?? endeten die
wechselseitigen Irrungen und mein Gegner führte die
Partie nun fehlerfrei mit 49. Df6+! Kh7 50.e8D!
(die Dame ist ja wegen Df7+ indirekt gedeckt) zum Sieg.
Der Unterschied zur obigen Variante ist, dass nun das
Patt bereits aufgehoben ist, sobald eine der beiden
Damen zieht. Der weiße Gewinnplan ist deshalb, mit dem
König nach e1 zu ziehen, den Schwarzen damit zum Opfer
eines der Türme zu zwingen, anschließend erneut nach e1
zu ziehen, wonach der verbliebene Turm die zweite Reihe
freigeben muss und dann mit dem König aufs offene Brett
zu rennen, um schließlich eine der beiden Damen zwischen
den König und den ihn verfolgenden Turm zu stellen.
Nach diesem Drama wieder ein Blick auf die anderen
Bretter: Friedrich hatte offenbar die Zeitkontrolle
geschafft, jedenfalls gab es an seinem Brett einen
weiteren Sieg. Jens stellte seinen Gegner vor die Wahl
mit seinem König in ein Matt oder einen Doppelangriff zu
laufen, der einen Läufer kostete. Dieser entschied sich
für die letztere Variante, gab aber zwei Züge später
auf. Damit war der Zwischenstand von 4,5:1,5 erreicht
und wir hatten den ersten Schritt getan, um den Aufstieg
doch noch möglich zu machen. Jonathan hatte im
Leichtfigurenendspiel zwar einen Bauern weniger. Er
konnte aber in ein Endspiel mit König und Springer gegen
König, schwarzfeldriger Läufer, b- und a-Bauern
abtauschen und den Springer gegen den b-Bauern opfern,
so dass dem Großmeister nur noch der Läufer und der
falsche Randbauer verblieben, die bekanntlich allein
nicht gewinnen können. Jonathans spätere Analyse ergab,
dass seine Stellung wohl lange Zeit verloren war, hier
hatten wir also etwas Glück. Damit spielte nur noch
Michael, der zwar zunächst darüber nachgedacht hatte,
sein Endspiel mit Springer gegen Läufer bei jeweils fünf
Bauern aufzugeben, dann aber die trickreichen
Möglichkeiten, die der Springerzug bietet, voll
ausschöpfte. Krönender Abschluss war die folgende
Stellung, in der sich der Weiße darauf verlassen hatte,
dass sein Angriff auf Springer und Bauern das remis
sichern würde:
Felten, Joachim - Hohlbein, Michael
Mit 1...Sb6! (die richtige Zugnummer weiß ich nicht)
bewies Michael, dass dies nicht so war. Wenn nun der
Läufer zieht, kommt c4 und Weiß kann den Bauern nicht
mehr erobern. Nach 2.Kxc5 Sxd7+ gewinnt Schwarz
offensichtlich auch und nach 2. Kxb6 ist der weiße
Läufer in der Folge c4 3. Kc5 c3 4. La4 h3 5.Kc4 h2
einen Zug zu spät, um den h-Bauern stoppen zu können.
Aufgrund des 6:2 Siegs hatten wir, wie ein Blick auf
die oben wiedergegebene Tabelle zeigt, den
Brettpunktenachteil mehr als ausgeglichen, so dass
feststand, dass uns am folgenden Tag der Hamburger
Meistertitel und der Aufstieg gelingen würde, wenn wir
einen Mannschaftspunkt mehr als Großhansdorf holen
würden. Die Großhansdorfer, die am Sonnabend schon Sekt
dabeihatten, um ggf. auf den Aufstieg anstoßen zu
können, hatten es aber noch immer selbst in der Hand, ob
es am nächsten Tag statt Sekt Selters geben würde.
Während Jonathan und Matze schon zurückkehren mussten,
um sich um die wildgewordenen Kinder bzw. Enkel zu
kümmern, ließ der Rest des Teams zusammen mit den
anwesenden Fans Uwe und KJ den Abend im nahegelegenen
Steakhouse ausklingen. (JH/01.05.)
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