Zwischenrunde Gruppe 2 - Ausrichter: Viernheim
Pokalaus gegen den Bundesliga-Spitzenreiter
Am 10.3.2024 trat unsere Pokalmannschaft zu dem bislang
weitest entfernten Auswärtsspiel unseres Vereins an.
Die Auslosung hatte uns eine Gruppe mit Viernheim, Kirchweyhe
und Walldorf gebracht. Natürlich mussten wir als Landesligist
damit rechnen, dass wir in der Zwischenrunde auf deutlich
stärkere Gegner treffen würden, dennoch war diese Gruppe
so ziemlich das schwerste Los, das uns passieren konnte.
Viernheim ist aktuell Tabellenführer der Bundesliga
und schon fast sicher Deutscher Meister und auch Kirchweyhe
ist eine Spitzenmannschaft der Bundesliga. Dazu kam
mit Walldorf ein Zweitligist, der im Pokal regelmäßig
stark antritt und es damit schon im Vorjahr ins Viertelfinale
erreicht hatte.
Zwar waren bei Viernheim einige der größten Stars
der Bundesligamannschaft wie Hikaru Nakamura (Nr. 3
der Weltrangliste), Nodirbek Abdussatorov (Nr. 4) oder
Jan Krzystof Duda (früher das Spitzenbrett des HSK und
aktuell die Nr. 18 der Welt) im Pokal nicht spielberechtigt
und Kirchweyhe sah sich aufgrund des gleichzeitigen
Flug- und Bahnstreiks nicht in der Lage, wie geplant
ihre stärksten Spieler anreisen zu lassen. Trotzdem
zeigt ein Überblick über den Elo-Durchschnitt, mit dem
die Mannschaften im Achtelfinale antraten, dass wir
die deutlich stärkste Gruppe erwischt hatten:
1.
|
OSG Baden-Baden
|
2611
|
2.
|
SC Viernheim
|
2605
|
3.
|
Schachfreunde Deizisau
|
2583
|
4.
|
SK Kirchweyhe
|
2492
|
5.
|
SG Solingen
|
2453
|
6.
|
SV 1947 Walldorf
|
2373
|
7.
|
SF Berlin
|
2310
|
8.
|
SK Marmstorf
|
2309
|
9.
|
Heilbronner SV
|
2308
|
10.
|
SC Heimbach-Weis-Neuwied
|
2236
|
11.
|
SC Gröbenzell
|
2225
|
12.
|
SG Leipzig
|
2217
|
13.
|
SG 1871 Löberitz
|
2212
|
14.
|
Mattnetz Berlin
|
2207
|
15.
|
SK Gründau
|
2156
|
16.
|
SK Bremen-Nord
|
2135
|
Zudem konnten wir bereits im Vorfeld damit rechnen,
dass Viernheim (die ja zu dem Zeitpunkt noch eine Kirchweyher
Mannschaft in Bestbesetzung erwarten mussten) selbst
so aufstellen würde, dass sie gute Chancen hätten, gegen
die TOP 4 von Kirchweye weiterzukommen, so dass wir
eine Reihe von 2600ern oder sogar 2700ern an den Brettern
erwarteten. So hielt ich es für nicht unwahrscheinlich,
dass Parham Magsodloo (Elo 2717) und Anton Korobov (Elo
2662) im Pokal spielen würden, weil sie zwei Tage zuvor
noch bei einem Großmeisterturnier in Prag am Start waren
und damit keinen so langen Anreiseweg gehabt hätten.
Der Turnierleiter teilte uns ein Auswärtsspiel in
Viernheim zu. Darüber hatte ich mich zunächst gefreut,
denn Viernheim hatte zwei Wochen zuvor die gemeinsame
Runde der Bundesliga ausgerichtet und war für diese
Ausrichtung sehr gelobt worden. Die Aussicht, an gleicher
Stelle gegen Weltklassespieler antreten zu können, möglicherweise
auch noch an DGT-Brettern, mir denen die zuhause Mitfiebernden
die Partien live verfolgen könnten, gab mir das Gefühl,
als wären wir zumindest für ein Wochenende in die ganz
große Schachwelt versetzt worden. Dafür war ich auch
gern bereit, die Anreise und zwei Hotelnächte auf mich
zu nehmen. Die ersten Probleme zeichneten sich aber
ab, als die GDL für den Freitag, an dem wir anreisen
wollten, bis 13:00 Uhr einen weiteren Streik ankündigte.
Wir hatten Glück im Unglück, da genau die Zugverbindung,
mit der Jonathan, Matthias und Kubi anreisten und meine
etwas spätere Verbindung, die ich gebucht hatte, um
die für Freitag geplanten Verhandlungen nicht absagen
zu müssen, trotz des Streiks bedient werden sollten.
Allerdings führte dieser Umstand zu erhöhtem Ansturm
auf diese Züge und damit zu Verspätungen, die sich jeweils
auf mehr als eine Stunde summierten. Da ich auch noch
in die falsche Straßenbahn stieg, kam ich statt wie
geplant um 21:59 Uhr erst nach 0:00 Uhr in Viernheim
an, wurde aber glücklicherweise von Kubi ins Hotel hineingelassen
und mit meinem Zimmerschlüssel versorgt, denn die Rezeption
hatte zu diesem Zeitpunkt längst Feierabend.
Viernheim liegt übrigens im äußersten südlichen Zipfel
von Hessen. Die nächste Straßenbahnhaltestelle ist Mannheim-Käfertal,
liegt also schon in Baden-Württemberg. Aus diesem Grund
ist der SC Viernheim auch im Badischen Verband organisiert,
so spielt z.B. die zweite Mannschaft in der Oberliga
Baden. Walldorf, das man nicht nur als Sitz von SAP,
sondern auch wegen des Waldorfsalats und der Schulen
kennt (beide nur mit einem l, weil es auf einen aus
Walldorf stammenden Auswanderer zurückzuführen ist,
der im 18. Jahrhundert in die USA zog und dort zum damals
reichsten Menschen der Welt geworden sein soll), liegt
von Viernheim aus gleich um die Ecke und hatte sich
deshalb sehr dafür ausgesprochen, dass Viernheim die
Zwischenrunde ausrichten darf.
Wir hatten uns für jede denkbare Farbverteilung und
jeden Gegner im Vorfeld eine Aufstellung überlegt, und
zwar so, dass Kubi Schwarz und Matthias Weiß erhalten
sollte. Das hatte zur Folge, dass die beiden zur Vorbereitung
noch einmal ihr Repertoire für diese Farbe wiederholen
konnten. Als wir gegen 13:30 Uhr am Spielort ankamen
stellte sich heraus, dass der geplante Spielsaal nicht
zur Verfügung stand (genau genommen war mir das von
den Organisatoren schon ein paar Tage zuvor mitgeteilt
worden) und so saßen wir nicht an DGT-Brettern vor zahlreichen
Zuschauern, sondern in einem Kellerraum der Volkshochschule,
der gerade eben genug Platz für beide Mannschaften und
den Schiedsrichter bot, so dass das äußere Erscheinungsbild
sich nicht wesentlich von dem unterschied, was wir bei
jedem normalen Landesligawettkampf erleben. Was natürlich
anders als sonst blieb, waren die Gegner, die uns erwarteten
(s.o.). Während Walldorf und wir bereits vollzählig
im Spielsaal erschienen waren, wollten sich die Bundesligisten
anscheinend noch nicht so früh in die Karten schauen
lassen, so dass nur die (nicht spielenden) Mannschaftsführer
erschienen. Der Schiedsrichter hatte ein paar Loskugeln
in der Art der DFB-Pokalauslosungen vorbereitet und
zog nun als erstes "SK Marmstorf". Damit war klar –
das hatte der Schiedsrichter zuvor noch einmal erwähnt
– dass wir an Brett 1 und 4 Schwarz haben würden. Die
zweite Loskugel ergab den SC Viernheim, was mir sehr
recht war. Klare Außenseiter wären wir in jedem Fall
gewesen, aber so gab es die Aussicht, mal gegen Top-Großmeister
zu spielen. Während ich nun die im Vorfeld für
diese Konstellation abgestimmte Aufstellung notierte
und beim Schiedsrichter abgab, stellte sich heraus,
dass der Viernheimer Mannschaftsführer sogar für jede
denkbare Farb- und Gegnerkombination eine Aufstellung
ausgedruckt hatte und nun die für Marmstorf mit Weiß
für Viernheim an 1 bestimmte heraussuchte. Unsere Gegner
stellten zwar nicht so wie von mir erwartet (s.o.) auf,
brachten aber trotzdem ein sehr starkes Team an die
Bretter:
An Brett 1 spielte Jonathan mit Schwarz gegen den
Ukrainer Juri Kyworutschko (aktuell Elo 2654), der zu
seiner stärksten Zeit mit Elo 2717 auf Platz 34 der
Weltrangliste lag. Mein Gegner an Brett 2 war Dennis
Wagner, mit Elo 2620 aktuell die Nummer 6 in Deutschland,
der im Vorjahr das German-Masters gewann. Matthias traf
am dritten Brett auf einen weiteren Ukrainer, Sergej
Fedortschuk, aktuell "nur" bei Elo 2546, der aber in
der Vergangenheit auch schon einmal bei Elo 2674 lag
und mit seiner besten Weltranglistenposition (Platz
51) zu erweiterten Weltspitze gehörte. Kubi bekam es
am letzten Brett mit dem U18-Weltmeister von 2006, Arik
Braun (Elo 2599), zu tun. Dass alle unsere Gegner den
Großmeistertitel führen, versteht sich bei solchen Kalibern
von selbst.
Im Wettkampf sah ich uns an allen vier Brettern unter
Druck, am ehesten räumte ich mir selbst nach einem Figurenopfer
Chancen aus, um den vollen Punkt mitzuspielen. So aussichtsreich,
wie von mir gedacht, war das Opfer dann aber doch nicht,
immerhin konnte ich aber drei Bauern einsammeln und
auf einer dauerhaft geschwächte Königsstellung meines
Gegners pochen. Bis wenige Minuten vor der Zeitkontrolle
blieben alle vier Partien umkämpft, doch dann strichen
meine drei Mitspieler fast gleichzeitig die Segel. Ich
hatte in ein Endspiel abgewickelt, das ich im Vorfeld
(vermutlich zutreffend) als Festung eingeschätzt hatte,
doch auch dieser halbe Punkt war uns nicht vergönnt.
Bei knapper Zeit verlor ich das Zutrauen in die eigentlich
geplante passive Verteidigung, musste dann aber nach
dem 40. Zug, als ich mich wieder etwas intensiver mit
der Stellung befassen konnte, erkennen, dass der von
mir gewählte Weg sich als ungeeignet erwies, zu einem
halben Punkt zu kommen. Wer mehr über den schachlichen
Verlauf erfahren möchte, ist eingeladen, sich die Partien
am 22.3. im Vereinshaus präsentieren zu lassen.
In der WhatsApp-Gruppe zeigte sich im Nachhinein,
wie viele Marmstorfer der Aktualisierung der Ergebnisse
auf der Website des Schachbundes entgegengefiebert haben.
Die Meldung der Niederlage versah ich dort mit dem Kommentar
"Ein etwa gleichwertiger Gegner. Letztlich war wohl
der Heimvorteil ausschlaggebend." Während das bei uns
natürlich eher eine launige Bemerkung war, zeigten sich
die Walldorfer, die parallel zu unserem Wettkampf Kirchweyhe
mit 3:1 besiegten, am nächsten Morgen tatsächlich als
ein ernstzunehmender Konkurrent für Viernheim, die aber
nach Remisen an den ersten drei Brettern schließlich
mit einem Sieg am vierten Brett den Halbfinaleinzug
sicherstellen konnten. Dort werden sie auf Baden-Baden,
Deizisau und Solingen treffen, so dass es zu einer der
stärksten Pokalendrunden aller Zeiten kommen wird.
Noch während ich spielte, hatte Matthias zum Schnäppchenpreis
vier Bahntickets erworben, mit denen wir planmäßig um
2:00 Uhr nachts in Harburg hätten ankommen sollen. Jonathan,
Kubi und ich zogen es aber vor, auf ein gutes Mahl in
dem von den Gastgebern empfohlenen thailändischen Restaurant
einzukehren und am nächsten Morgen ausgeruht den Rückweg
anzutreten, während Matthias tatsächlich mitten in der
Nacht noch zuhause ankam. Auf dem Rückweg unterhielt
Jonathan uns dann bestens mit Geschichten aus der Schachwelt,
etwa wie Alexej Shirov ihn bei seiner (gemeint natürlich
Alexejs) letzten Hochzeit nach der Ankunft in Riga einweihte,
dass Jonathan sein Trauzeuge sein würde...
(JH/18.03.)
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